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Glanz und Elend einer Idee

GLANZ UND ELEND EINER IDEE

Dr. Jürgen Fischer

„Lieber, hochverehrter Genosse Erich Honecker! Es gehört zu den guten Traditionen der Partei der Arbei­terklasse, daß deren Repräsentanten das Bündnis mit der Intelligenz unseres Landes stets pflegen und das Gespräch führen. Wir danken Ihnen, lieber Genosse Honecker, daß Sie, dieser Tradition folgend, uns, die Vertreter des Kultur­bundes, der Akademie der Künste, der Künstlerverbän­de und des künstlerischen Volksschaffens, am Vor­abend des Nationalfeiertages der DDR empfangen und uns Gelegenheit geben, in Ihrer Person der Partei der Arbeiterklasse und dem sozialistischen Staat zu danken für die kluge, auf das Wohl des Volkes gerichtete Poli­tik, die mit dem VIII. Parteitag besonders erfolgreich begründet und mit den Beschlüssen des X. Parteitages der SED konsequent weiter verwirklicht wird ... Ihr per­sönlicher unermüdlicher Einsatz für die Erhaltung des Friedens und die Stärkung des Ansehens unseres sozia­listischen Vaterlandes ... findet die uneingeschränkte Zustimmung und Unterstützung der Intelligenz unseres Landes ... Gestatten Sie, daß ich Ihnen hier, in dieser Stunde unserer freundschaftlichen und herzlichen Be­gegnung, unseren tiefen Dank für all Ihr Tun und Wirken ausspreche und Ihnen sage, daß Ihr Beispiel uns An­sporn und Impuls zu noch größerer Aktivität für unsere wunderbare sozialistische Sache ist."

Erinnern!

Welch eine Entwicklung: Vom Kulturbund zur demokra­tischen Erneuerung Deutschlands zum Kulturbund der DDR. Es hätte nicht erst des jämmerlichen Endes dieses Staates und der kläglichen Flucht des lieben, hochver­ehrten Genossen H. bedürfen sollen, um angesichts sol­cher Reden aus dem Munde des damaligen Präsidenten des Kulturbundes, Prof. Hans Pischner, international renommierter Cembalist und ehemals Intendant der Staatsoper Unter den Linden , massenhaft eine Gänse­haut zu bekommen. Die zitierten Sätze aus dem Jahr 1986, die neben zahl­losen ähnlichen aus früheren oder späteren Jahren ste­hen und ja auch Programm verkünden, machen den Kulturbund, der die DDR hinter seinem Namen gegen ein e.V. eingetauscht hat, zur Altlast. Und Altlasten sind zu entsorgen. Dies umso mehr, als wohl kaum noch jemand an die Spielarten des Eingangszitates erinnert werden möchte, das in Variationen vom Brigadetage­buch über die Ortschronik bis zu Verlautbarungen der Blockparteien allerorts zu lesen und zu hören war. Und wenn man sich jahrzehntelang - „halb zog es ihn, halb sank er hin" - derartigen politischen Organisationsstruk­turen angeschlossen hatte, so ist man es der neuen Karriere zum Mindesten schuldig, sich mit der Austil­gung jener — auch eigenen Vergangenheit - hervorzu­tun.

Wenn Leben so einfach wäre!

Angefangen hatte es ganz anders: In den ersten Juni­tagen des Jahres 1945 trafen sich in der ehemaligen Villa des Bankiers Stauß in Berlin-Dahlem antifaschi­stische deutsche Kulturschaffende, um die Gründung eines „Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands" vorzubereiten. Der Ort war gut gewählt. Hier wurde vor zehn Jahren Adolf Hitler mit jenen Ver­tretern der deutschen Finanzwelt bekanntgemacht, die seine „Bewegung" später zu finanzieren bereit waren.

Den Vorsitz auf der Zusammenkunft im Juni '45 führte der damalige Präsident der „Kammer der Kultur", der Schauspieler Paul Wegener, welcher aus den ersten Nachkriegsjahren als unvergeßlicher „Nathan" zahllo­sen Theaterfreunden in Erinnerung bleiben wird. -Alle Anwesenden einigten sich auf ein Programm, das sich die geistige Erneuerung des deutschen Volkes zum Ziel setzte: „Im Vertrauen auf die Lebensfähigkeit und die Wandlung unseres Volkes: Neugeburt des deutschen Geistes im Zeichen einer streitbaren demokratischen Weltanschauung." Als besondere Aufgaben wurden „die Überprüfung der geschichtlichen Gesamtentwick­lung unseres Volkes", „die Wiederentdeckung und För­derung der freiheitlichen humanistischen, wahrhaft nationalen Traditionen unseres Volkes", die „Einbezie­hung der geistigen Errungenschaften anderer Völker in den Neuaufbau Deutschlands", die „Verbreitung der Wahrheit, Wiedergewinnung objektiver Maße und Werte" formuliert.

Am 8. August 1945 fand auf dieser Basis die Grün­dungskonferenz statt, auf der der Schriftsteller Johannes R. Becher einstimmig zum Präsidenten gewählt wurde. Bekannte Wissenschaftler, Künstler, Journalisten und Politiker gehörten dem Präsidialrat an, unter ihnen Bern­hard Kellermannn und Wolfgang Harich, Ernst Lemmer und Karl Hofer, Robert Havemann und Ernst Legal.

Der Anspruch war hoch. Bernhard Kellermann sah das Ziel des Kulturbundes darin, „das geistige und kulturel­le Parlament unseres Landes" zu werden. Der „Aufbau-Verlag" wurde gegründet und war 1947 einer der vielseitigsten belletristischen Verlage im Nachkriegs­deutschland. Dort erschienen u.a. auch der „Aufbau" als Monats- und der „Sonntag" als Wochenzeitschrift des Kulturbundes. Der Kulturbund war einer der maß­geblichen Initiatoren der „Allgemeinen Deutschen Kunstausstellung", die 1947 in Dresden erstmals nach 12 Jahren Faschismus der deutschen Öffentlichkeit jene Kunstrichtungen darbot, die bis dahin als „entartete Kunst" verboten und verfemt gewesen waren. Landes­verbände entstanden - in Thüringen auf Initiative des Weimarer Mediziners Dr. Alexander Mette -, „Wir­kungsgruppen" wurden in größeren Orten gegründet.

Mit den vier Besatzungsmächten entstanden Arbeitskon­takte. Die SMAD unterstützte die Tätigkeit des Kultur­bundes, das „British Council for German Democracy" begrüßte das Wirken des Bundes, seine Publikationen wurden auch in westlichen Ländern - so in Bayern und Württemberg - als Lesestoff in den Schulen empfohlen, die Rundfunksender der sowjetischen Besatzungszone strahlten die „Stimme des Kulturbundes" aus .:.

Dieser Kulturbund setzte sich in Beziehung zu allen grundlegenden Problemen seiner Zeit und ging von vornherein über das hinaus, was traditionell ein „Kul­turverein" zu leisten beabsichtigte. Er verstand Kultur nicht einfach als „Freizeitvergnügen", was gerade in Notzeiten gegebenenfalls verzichtbare Arabeske des gesellschaftlichen Lebens sei, sondern erkannte in der Verbindung von Wissenschaften, Künsten, Alltagskultur die substantielle Grundlage für das geistige Leben im Land.

Bei allen - womöglich von Anbeginn an illusionären-Vorstellungen von einer umfassenden „Volkserzie­hung", gab es damals ein eindeutiges Bekenntnis zu Unabhängigkeit und Überparteilichkeit. „Somit ist es ein Akt der Selbstbehauptung, wenn wir uns gegen jeden Eingriff seitens einer Partei aufs entschiedenste wehren ... Wir wünschen auch nicht, daß behördliche Funktionen mit solchen innerhalb des Kulturbundes verquickt werden und unsere Bewegung auf diese Weise einen halboffiziellen oder gar offiziellen Charakter er­hält", heißt es in einer Jubiläumsschrift aus dem Jahre 1947. Und: „Wir gestehen keiner Partei das Recht zu, eine geistig-kulturelle Erneuerung Deutschlands für sich allein in Anspruch zu nehmen. Auch wir möchten nicht von uns behaupten, daß wir allein zu einer kulturellen Erneuerung Deutschlands berufen seien. Wir sind ge­gen Monopole jeder Art, auch auf kulturell-weltan­schaulichem Gebiet."

Aber gerade dieser Anspruch ging im Umfeld von Kal­tem Krieg und Stalinismus rasch verloren. Im Mai 1947 untersagte die amerikanische Besatzungsmacht die Tä­tigkeit des Kulturbundes in ihrer Zone, im November 1947 folgten die Briten mit einer gleichen Entschei­dung. Die Idee der freien Verbindung aller Kräfte, die sich zu einer demokratischen, humanistischen und welt­offenen Kultur in Deutschland bekannten, war zu die­sem Zeitpunkt bereits gescheitert.

1947 hatte es noch lapidar geheißen: „Der auf der Gründungskonferenz gewählte Präsidialrat veränderte sich im Laufe der Zeit durch das Ausscheiden einiger Mitglieder und die Zuwahl neuer Persönlichkeiten."

1955 wurde dieser Prozeß dann so beschrieben: „Wer die Kulturarbeit als ein leichtes und müheloses Geschäft betrachtete oder sich von den amerikanischen und eng­lischen Monopolisten kaufen ließ, für den gab es bald im Kulturbund keinen Raum mehr. Wer das Programm der demokratischen Erneuerung Deutschlands verriet, wurde aus den Leitungen herausgewählt, aus den Rei­hen der Kulturbundmitglieder ausgeschlossen und der Verachtung preisgegeben. Der Weg dieser Würde­losen, dieser Abtrünnigen kann niemals der Weg unse­res Volkes sein."

Einige der Namen dieser „Würdelosen" aus diesen und späteren Jahren sind landesweit bekannt: Walter Janka, Ernst Bloch, Robert Havemann ..., viele andere nicht. - Als sich im Dezember 1957 die Parteigruppe des Präsidialrates des Kulturbundes mit dem „Fall Bloch" beschäftigte, kam Kurt Hager, selbst Mitglied dieses Gremiums, zu folgenden Aussagen: „Am 14.11.1956 hatte Bloch an der Humboldt-Universität eine Vorlesung über Hegel gehalten ... In dieser Vor­lesung wurde unter großem Beifall der dort anwesen­den Studenten eine absolut revisionistische Konzeption entwickelt... 1. es sei erforderlich, auch das Hegelsche System anders zu beurteilen, als es bei Engels beispiels­weise der Fall gewesen sei, 2. es sei erforderlich, eine führen und ihn überhaupt erst auszubauen... Jetzt hat Bloch eine Mitteilung eingesandt ... Ich habe die Mei­nung, daß der Präsidialrat des Kulturbundes nicht ein­fach eine solche Erklärung oder Mitteilung akzeptieren kann ... Jetzt ist es erforderlich, sich über das Verhalten des Präsidialrates ihm gegenüber einig zu sein ... "Die Parteigruppe sorgte für die Einigkeit im Präsidialrat, Bloch wurde „herausgewählt“.

Im Zusammenhang mit diesen Ereignissen stand die zunehmende Verquickung des Kulturbundes mit den Strukturen der Staatsmacht und der SED. Das fand sei­nen Ausdruck u.a. darin, daß Becher als langjähriger Präsident des Kulturbundes 1954 zum ersten Kultur­minister der DDR berufen wurde und damit seine eige­nen Äußerungen zum Wesen des Kulturbundes in ihr Gegenteil verkehrte. - Etwa in diesem Zeitabschnitt for­mierte sich der Kulturbund zu der Gestalt, die er im Wesentlichen bis 1990 beibehielt.

Mit der Teilnahme an den Wahlen in der DDR von 1950, nach denen der Kulturbund insgesamt 405 Man­date in den Kreis- und Landtagen sowie in der Volks­kammer innehatte und nach der Einrichtung der Kul­turbund-Klubs, die zunächst als „Klubs der Intelligenz" in fast(?) allen Kreisstädten zwar vom Kulturbund ge­führt wurden, laut Richtlinie vom 20. Mai 1954 „Anlei­tung und Kontrolle" aber dem Ministerium für Kultur oblagen, vollzog sich die vollständige Einbindung in das politische System der DDR.

Mit der am 1. April 1952 erfolgten Abtrennung der Künstlerverbände aus der Obhut des Kulturbundes wa­ren wesentliche inhaltliche und strukturelle Veränderun­gen verbunden. In der Folgezeit bestand der Kulturbund neben den Klubs mehr und mehr aus Fachgruppen und Interessengemeinschaften der Hobbypflege, zu Schwer­punkten entwickelten sich heimatgeschichtliche und naturschützerische Aktivitäten der Mitglieder. 1986 exi­stierten im Kulturbund der DDR etwa 10.000 Klubs, Gruppen und Gemeinschaften, die in mehr als 42 Dis­ziplinen vom Interesse am Jazz über die Feldherpetologie bis zur Denkmalpflege unterschiedlichste Frei­zeitinteressen umschlossen.

Die Stellung des Kulturbundes in der Gesellschaft formu­lierte in den 80iger Jahren der 1. Bundes-Sekretär Karl-Heinz Schulmeister: „Der Kulturbund ist auf allen Ebe­nen seiner staatlichen Tätigkeit Kraft und Mittler des Bündnisses, das die Arbeiterklasse mit der Intelligenz verbindet ... Es gibt faktisch keinen Bereich staatlicher Tätigkeit, von der Ökonomie bis zur Außenpolitik, in den die Volksvertreter des Kulturbundes nicht einbezo­gen wären ... Das Bestreben des Kulturbundes, seine Einbeziehung in die sozialistische Staatsmacht, gehören zu den historischen Errungenschaften unserer Republik."

Eine umfassende und kritische Darstellung der Ge­schichte des Kulturbundes der DDR liegt heute nicht vor, ob sie jemals geschrieben wird, ist offen. Viele notwen­dige Auseinandersetzungen mit der eigenen Vergan­genheit haben noch nicht stattgefunden, ob sie jemals ausgetragen werden, hängt von der Entwicklung des Vereins ab. Und selbstverständlich kann dieser Beitrag jene Lücken nicht schließen. Einige Thesen mögen für das Ganze stehen, bruchstückhaft und damit sicher auch fragwürdig:

  • Im Umfeld der oben skizzierten Entwicklung verka­men in den Publikationen und zentralen Veranstaltun­gen des Kulturbundes, die sich mit wesentlichen Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung befaßten, die einst­mals visionären Ziele und Gedanken mehr und mehr zum Geplapper. Im Unterschied zu den Auseinandersetzungen in den Künstlerverbänden, zu künstlerischen Leistungen im Lande und zu Erkenntnissen, die in wis­senschaftlichen Einrichtungen der DDR gesammelt wur­den, hat der Kulturbund als Institution seit Jahrzehnten nichts Wesentliches zur geistigen Entwicklung mehr bei­ getragen.
  • Durch die Unmöglichkeit, in der DDR Vereine zu bilden, in denen sich Bürger zur Ausübung gemeinsa­mer Interessen zusammenschließen konnten, wurde der Kulturbund der einzige Ort, in dem sich Hobbygruppen bilden konnten. Das hatte einerseits die Vorzüge, daß keine aufwendigen Prozeduren einer Vereinsgründung und -führung erforderlich waren und daß in der Regel ein gesetzlich gesicherter Rahmen für die Arbeit - ko­stenlose Raumnutzung etwa - gegeben waren. Ande­rerseits war damit verbunden, daß sich auch alle Aktivi­täten im Bereich der Freizeitkultur letztendlich unter staatlicher Kontrolle befanden. Und es gibt genügend Beispiele, wo Gruppen beargwöhnt, in ihren Arbeits­möglichkeiten beschnitten oder aus dem Kulturbund hinausgedrängt wurden.
  • Zugleich war der Kulturbund in der Vielzahl seiner Interessengruppen innerhalb des etablierten Systems der totalen Durchdringung aller öffentlichen Lebensbe­reiche mit staatlichem Reglement eine der in den letzten Jahren vielzitierten „Nischen", in die sich Menschen in „unpolitische" Bereiche zurückzogen. Eine „sozialisti­sche Art", Sukkulenten zu züchten, scheint es nicht ge­geben zu haben.
  • Eine wichtige Seite der Kulturbundarbeit, die in ihrem Kern aus der Gründungsphase heraus weiterlebte, war bei aller Differenzierung der Interessensphären immer die Möglichkeit, Kultur als Zusammenhang unterschiedlicher Kommunikationsformen zu erleben; eben nicht nur Briefmarken zu sammeln, sondern durch den räum­lichen und persönlichen Kontakt zu anderen Interes­sengebieten Schnittflächen zu entdecken, sich neue Formen der Begegnung zu erobern, Kultur als einen vielfäl­tigen Bereich menschlichen Lebens auch in dieser Viel­falt für sich zu realisieren.
  • Auf zwei Ebenen insbesondere hat der Kulturbund der DDR bis zu seinem Ende Wesentliches geleistet: In der Heimatgeschichte und im Bereich Natur und Um­welt. Hier schufen Kulturbund-Mitglieder in zahllosen freiwilligen und unbezahlten Arbeitsstunden Naturlehr­pfade, markierte Wanderwege, bewahrten örtliche Denkmale vor dem Verfall, betrieben Arten-, Natur- und Landschaftsschutz ... Eines der bedeutendsten Ergebnisse dieses Wirkens ist wohl der Rennsteiggarten in Ober­hof, wo 1970 auf einem ehemaligen Waldstück von inzwischen 7ha Größe begonnen wurde, Gebirgspflanzen aus Europa, Asien, Amerika, Neuseeland und der arktischen Region in einer Schauanlage anzusiedeln, die in der Kammlage des Thüringer Waldes ihren typischen Wuchs und Blütenflor ausbilden.
  • Schließlich war der Kulturbund jahrzehntelang er­folgreich auf dem Gebiet der Erschließung von kulturell-künstlerischen Erlebnisbereichen tätig. Auch hier wird die charakteristische Ambivalenz von Mitgliederinteressen und staatlichen, über den Funktionärsapparat reali­sierten Aufgaben zukünftig differenziert gewertet werden müssen. Aber die ca. 400 kleinen Galerien, die jährlich abgehaltenen Kulturfeste, die zahlreichen künstlerischen Einzelveranstaltungen und die großen Jubi­läumsprojekte, die 1949 mit der Goethe-Feier begonnen wurden, auf der Thomas Mann seine vielzitierte „Rede an die deutsche Nation" hielt, die Schiller-, Luther-, Bach-, Händel- oder Schütz-Ehrungen sind wichtige Ereignisse im geistigen Leben der DDR gewe­sen.

Aber es muß auch eingeschränkt werden, daß sich der Bund als ganzes durch einen „gewissen Konservatis­mus" ausgezeichnet hat, der junge, experimentelle, ge­schweige kritische Kräfte wenig zu Wort kommen ließ. Als in den Künstlerverbänden, Theatern und Hochschu­len sich neue Auffassungen schon längst nicht mehr zurückdrängen ließen, wurde in den Verlautbarungen des Kulturbundes noch immer heftig die Fahne des So­zialistischen Realismus geschwenkt, der „den Sozialis­mus stärken, die Größe und Schönheit des oft unter Schwierigkeiten Erreichten bewusst machen" sollte.

Ein vielfältiges, widerspruchsvolles Bild. Für keine Seite der Arbeit dieses Kulturbundes der DDR lassen sich rasche und eindeutige Wertungen treffen. Selbst das Wechselverhältnis zwischen politischer Aufgabenstel­lung, Funktionärsapparat, ehrenamtlichen Leitungen und Mitgliederinteressen ist nicht ohne weiteres eindeu­tig zu bestimmen. Einerseits waren die zahllosen haupt­amtlichen Funktionäre des Kulturbundes bis zu einer gewissen Ebene „Nomenklatur-Kader", das heißt, ihre Auswahl und Einstellung bedurfte der Zustimmung der jeweiligen SED-Gremien. Damit waren sie stets auch Versorgungsposten für abgetakelte SED- und FDJ-Funktionäre. Andererseits gab es -vor allem in der mittleren und unteren Ebene viele Mitarbeiter, die aus kulturellem Engagement und voller Enthusiasmus regionale und ört­liche Aktivitäten motivierten, förderten, am Leben erhiel­ten.

Auch die Stellung der Mitglieder und Freunde, der Fach­gruppen und Interessengemeinschaften gestaltete sich in ähnlich vielfältiger Weise. Für die einen war der Kulturbund nur unumgängliche Form, Freizeitbedürfnis­se zu realisieren; für die anderen ganz spezielle Erleb­nis- und Tätigkeitsform, die sie den Kulturbund meinen ließen und nicht einen beliebigen Kulturverein. Der Kul­turbund der DDR war für seine Mitglieder „Hülle" oder „Heimat".

Dies bestimmte auch die Rolle des Kulturbundes der DDR in den letzten Jahren seiner Existenz. Während in den Künstlerverbänden und in professionellen Kultur­einrichtungen lange vor dem Herbst '89 heftige Ausein­andersetzungen um die gesellschaftliche Situation im Lande stattfanden, die sich auch öffentlich artikulierten und spätestens im Herbst '89 massiv Veränderungen forderten, kamen aus dem funktionärsdominierten Kul­turbund keine derartigen Impulse. Das trifft zumindest für den ehemaligen Bezirk Erfurt zu. Als im Frühsommer des Jahres '89 aus der Absicht der Herausgabe eines heimatgeschichtlichen Periodikums die Idee entstand, stattdessen eine zeitkritische aktuelle Kulturzeitschrift zu begründen, wurde dies vom damaligen Bezirksvorsit­zenden sofort mit dem Hinweis auf nicht vorhandenes Papierkontingent abgeblockt. Als im November '89 Mitglieder der Gewerkschaft Kunst im FDGB und Vertre­ter der Künstlerverbände eine große Kundgebung für gesellschaftliche Erneuerung auf dem Erfurter Domplatz veranstalteten, war der Kulturbund als Organisation nicht beteiligt.

Nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten brach auch der Kulturbund in seiner bisherigen Form zusammen. Mit dem Ausbleiben/Staatlicher Subventio­nen wurde zunächst der hauptamtliche Mitarbeiterstab auf ein Minimum reduziert. Parallel dazu kam es zu Neuwahlen auf allen ehrenamtlichen Leitungsebenen. Seit 1990 ist die Berliner Geodätin Marianne Piehl neue Bundespräsidentin.

Die Struktur des Kulturbundes, der sich inzwischen hatte in das Vereinsregister eintragen lassen, womit aus dem „Kulturbund der DDR" der „Kulturbund e.V." wurde, blieb zunächst erhalten. Im alten Untergliederungs­system in Klubs, Fach-, Interessen- und Ortsgruppen, Kreisorganisationen, Landesverbänden als Nachfolger der ehemaligen Bezirksverbände und Bundespräsidium in Berlin blieben die einzelnen Einheiten einander zu­geordnet.

Charakteristisch dafür war, daß es sich von den Kreis­verbänden an aufwärts nur um Funktionärs- und Mit­arbeiterhierarchien handelte. Mitglieder existierten in dieser zentralistischen Organisationsform nur auf den untersten Ebenen, während nach oben hin - zumal un­ter den neuen gesellschaftlichen Bedingungen - nur noch zunehmend irrelevant werdende „Leitungspro­zesse" stattfanden.

Innerhalb der Mitgliedschaft gab es selbstverständlich ab 1990 massive Veränderungen. Angesichts von Rei­semöglichkeiten, ganz neuartigen Freizeitangeboten, der Faszination der Video- und 20-Sender-Fernseh-Welt, angesichts sozialer Neuorientierungen und damit verbundener Konflikte und auch der Furcht, sich als Kulturbundmitglied als „Altlast" zu kompromittieren, ha­ben sich viele Gruppierungen einfach aufgelöst.

Diejenigen, die spezieller Fachinteressen halber in der DDR im Kulturbund waren, sind nach der Vereinigung oft bundesweiten Fachverbänden aus den Altbundes­ländern beigetreten und haben den Kulturbund verlas­sen. Im Bereich Natur und Umwelt setzen heute zahlrei­che Vereine unterschiedliche Schwerpunkte, was nach den Intentionen der Einzelnen ebenfalls zu einer Dif­ferenzierung des Verhältnisses zum Kulturbund führt. Die Bundespräsidentin schätzt die gegenwärtige Mit­gliederzahl auf etwa noch 100.000 gegenüber ca. 260.000 vor 1989.

Genau zu ermitteln ist die Zahl nicht. Inzwischen hat der Kulturbund sein zentralistisches Gliederungssystem auf­gegeben, jede einzelne Gruppe kann nur noch als ei­genständiger e.V. existieren und das bedeutet einerseits die inhaltliche, organisatorische und finanzielle Selb­ständigkeit, schließt aber auch das Ende des bisherigen Kommunikationssystems von Berichten und Statistiken ein. Und über die Beitragszahlung läßt sich auch kein Mitgliederstand ermitteln. Die Mitglieder zahlen in ihren nunmehr rechtlich selbständigen Orts- und Fachgruppen und fragen zu Recht, mit welchem Nutzen Beitrags­anteile an eine Zentrale abgeführt werden sollen, deren Bedeutung im Ganzen durchaus unklar ist.

Was also ist der Kulturbund heute? Eine mehr oder minder große Zahl einzelner und voneinander un­abhängiger Kulturvereine, die aus Tradition oder aus Hoffnung auf ein zu erwartendes Scheibchen aus der Erbmasse des Kulturbundes der DDR den Namen beibe­halten haben? Mit den Intentionen der Gründer hat das nichts zu tun. Was bringt es heute, vom Kulturbund zu reden?

Die Reanimation einer Leiche?

Ist das Ganze nichts weiter als ein Trauerspiel, das irgendwann sein natürliches Ende findet? Ein atomisierter Kulturbund wird in Zukunft nach den Intentionen seiner Mitglieder neben anderen Kulturvereinen wei­terbestehen oder sich auflösen. Die Frage nach der Zukunft der Landesverbände und dem Zusammen­schluß im „Bund" werden die Mitglieder entscheiden. Wenn man nun aber überhaupt die Frage nach der Zukunft des Kulturbundes stellt, kann es weder darum gehen, ihn - aus welchen Gründen auch immer - ge­waltsam aufzulösen, noch nach Wegen zu suchen, ihn als Erinnerungsstück an mehr oder weniger gute alte Zeiten in die Zukunft hinüber zu retten. Viele seiner ehemaligen sinnvollen Aktivitäten können von anderen Kulturvereinen ebenso ausgehen. In dieser Beziehung wird er sich als eine unter vielen Möglichkeiten eines Zusammenschlusses von Mitgliedern behaupten oder nicht. Andere Aufgaben, die er in der DDR hatte, kön­nen von kommunalen Bürgerhäusern übernommen wer­den.

Da aber ist der Punkt: Gegenwärtig gibt es solche Bür­gerhäuser in. den meisten Städten (noch?) nicht. Statt­dessen herrscht noch immer „Kahlschlag". Außerhalb der tradierten Kulturinstitute wie Theater und Museen ist der größte Teil öffentlicher Kultureinrichtungen, die in der DDR weitgehend von den Massenorganisationen getragen und demzufolge unter treuhänderische Ver­waltung gestellt wurden, „abgewickelt". Allein in Erfurt wurden nach 1989 über 30 solcher Einrichtungen ge­schlossen, an ihre Stelle ist kaum Neues getreten. Die Treuhandanstalt, Abt. Sondervermögen, ist in Berlin weitab von jeglicher Berührung mit den tatsächlichen Lebensvorgängen. Sie betrachtet die in Frage kommen­den Objekte ausschließlich aus vermögensrechtlicher Sicht und ist gehalten, sie nach „marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten" zu verwerten. Und dies geschieht na­türlich nicht im Interesse weiterer kultureller Nutzung. In viele ehemalige Kulturstätten - auch des Kulturbundes - sind bereits Banken, Firmen, Verwaltungen eingezo­gen.

Der Magistrat der Landeshauptstadt hat sich eindeutig zum Erwerb des PDS-Gebäudes „Haus Dacheröden" zum Zwecke weiterer kultureller Nutzung positioniert. Um dies aber zu realisieren, muß er vorerst eine kräftige Miete an die Treuhandanstalt abführen, bis er das Ob­jekt schließlich für einen hohen Preis kaufen kann. Man­che Kommune wird sich überlegen (müssen), ob sie in absehbarer Zeit Millionenbeträge in Gebäude inve­stiert, die auf Dauer stets weiter subventioniert werden müssen oder ob der - raschen Gewinn bringende - Weiterverkauf nicht die scheinbar bessere Lösung ist.

Aus dieser Situation resultieren schwerwiegende Pro­bleme. Große soziale Gruppen haben kaum Möglich­keiten, sich kulturell zu betätigen, es gibt ungenügend materielle Voraussetzungen, sich in einer breiten Öffent­lichkeit in kultureller Form mit Fragen der Zeit ausein­anderzusetzen, die Kommunikation zwischen den Thü­ringer Schriftstellern und Künstlern mit den Bürgern ist aufgrund mangelnder Begegnungsformen gestört. Die dringend notwendige geistige Öffnung nach Osten und Westen, die ja konkrete Bedingungen braucht, um sich tatsächlich zu realisieren, leidet Mangel an Vorausset­zungen.

Das alles ist nicht nur eine Frage des Geldes oder partei­politischer Entscheidungen.

Da gab es vor 48 Jahren die Idee, Kulturschaffende und an der Kultur Interessierte außerhalb von Parteien, Kon­fessionen und sozialem Status zusammenzuführen, um nicht nur eigene kulturelle Interessen zu befriedigen, sondern sich aktiv in den Prozeß der kulturellen Entwick­lung der Gesellschaft einzubringen. Die Idee ist auf dem Wege ihrer Realisierung verkommen.

Man könnte heute etwas Neues gründen, einen „Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Thürin­gens e.V.". Das Problem ist: Wenn in der DDR die Regel galt, daß eine Sache akzeptiert wurde, wenn ihre Idee auf einen Parteitagsbeschluß der SED zurückzuführen war, so gilt heute die Regel, daß etwas akzeptiert wird, wenn es ein Vorbild in den alten Bundesländern hat. Wie wäre es, wenn wir uns in diesem Falle einfach zu unserer eigenen Geschichte bekennen, indem wir sie annehmen und kritisch mit ihr umgehen?

Übrigens: Das Angebot, „Kulturbund" in diesem Sinne neu zu denken, neue, unserer Zeit gemäße Inhalte zu finden - 1993 ist nicht 1945 - ihn mit der eigenen Erfahrung zu bereichern und auf morgen hin zu gestal­ten, gilt nicht nur für ehemalige DDR-Bürger.

„Wenn wir keine Zeit haben, die Vergangenheit zu verstehen, werden wir keine Vision im Umgang mit der Zukunft haben. Denn die Vergangenheit wird uns nie­mals loslassen, und die Zukunft wird immer an der Tür stehen."



Erschienen in: VIA REGIA – Blätter für internationale kulturelle Kommunikation Heft 1/3 März 1993, herausgegeben vom Europäischen Kultur- und Informationszentrum in Thüringen

Weiterverwendung nur nach ausdrücklicher Genehmigung des Herausgebers

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